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Ausschnitte aus Visions-Interviews mit Bela B. alias Dirk Felsenheimer und Rod Gonzales |
Inwieweit seht ihr euch überhaupt noch als ‘Punk’ und was bedeutet dieses ominöse Wort für euch?
Bela: „Die Ärzte haben eine anarchistische Einstellung gegenüber allgemeinen Erwartungshaltungen. Daß wir nicht mehr in zerrissenen Hosen herumlaufen, ist eine andere Geschichte. Wir müssen nicht unter Beweis stellen, daß wir Punk sind. Wir reden hier von einer Jugendbewegung, die vor 20 Jahren begonnen hat und deren Wortführer Charlie Harper (Sänger der UK Subs - Anm. d. Verf.) war. Wie alt war der damals? Siehst du! Auf dem Album "13" ist eine allumfassende Erklärung zu finden, die ‘Punk ist...’ heißt."
Fürst Du ein
Leben, das man gemeinhin `bürgerlich` nennt?
Bela: Ich führe schon ein ganz normales Leben: Wenn ich
trinke, werde ich besoffen wie jeder andere, wenn ich Drogen nehme, werde ich
high, und Sex macht auch äußerst viel Spaß. Natürlich habe ich eine andere
Einstellung zu den Dingen als jemand, der morgens um acht aufsteht und bei der
Post arbeitet.
Gibt’s deine Schäbi-Metal-Sammlung
noch? Was waren die letzten Neuzugänge?
Bela: Die Schäbi-Sammlung gibt’s noch, wir haben ja gerade ein True
Metal-Revival,
und ich muß unbedingt mal wieder im Metal-Laden meines Vertrauens einkaufen
gehen. Hab‘ mich jetzt ein bißchen auf Black Metal verlegt, wobei ich da
einige Sachen aufrichtig geil finde. Manches ist aber auch nur extrem oder
hammermäßig lächerlich. Gerade habe ich eine Platte gekauft, Christ Denies
heißt die Band, hat Rod entdeckt. Das ist richtig lustiges Gegrunze, das lassen
wir oft laufen, wenn wir nach einem Konzert Autogramme geben. Ansonsten hab‘
ich hier gerade Wizzard aus der True Metal-Ecke. Da sind 19 Songs und 16 Hörspiele
drauf. Sehr, sehr groß sind auch Metalucifer, oder war’s Lucimetal?
Jedenfalls ‘ne japanische Band, die singen richtig schlechtes Englisch - sehr
geil, kann ich nur empfehlen.
Wie verkraftest du
als Fussballfan St. Paulis
Gurkengekicke?
Bela:St. Pauli ist ein Haufen Loser, aber die guten Leute hier in Hamburg
identifizieren sich damit. Es ist eine coole Stimmung auf dem Platz, besonders
wenn die Sonne scheint. Da zu stehen mit Freunden,
nachmittags schon leicht angetrunken, irgendwo kreist ein Joint - das ist echt
cool.
Das Verhältnis der Ärzte zu ihren Fans ist ja schon ein reichlich seltsames: Welche vergleichbare Band kann es sich schon erlauben, seine Anhänger so sehr nach Strich und Faden zu verarschen? Es scheint fast so, als ob die Ärzte-Jünger dem Trio umso mehr ergeben sind, je mehr auf sie einprasselt.
Rod: „Die Hierarchie ist ja immer dieselbe. Oben sind die Stars und unten stehen die Fans. Mit den Texten stellen wir uns mit unseren Fans auf eine Ebene. Ich glaube, das ist es, was die Fans akzeptieren. Auf der einen Seite verarscht zu werden, aber auf der anderen Seite zu erkennen: ‘Hey, die sind ja genauso blöd wie wir.’Dadurch, daß wir sehr selbstironisch sind und uns über uns selbst noch mehr lustig machen als über unsere Fans, sind wir schwer greifbar und gleichzeitig schwer angreifbar.
Was sagst du zum immerwiederkehrenden Vorwurf des Kommerz-Appeals?
Rod: "Der Anarcho-Punk, der gerade noch sein Abitur macht, wird uns bestimmt scheiße finden, aber wir sind sicherlich für manche eine Einstiegsdroge in diese Richtung." Es gibt bei unseren Fans eine Fraktion, die jedes neue Album erst mal total scheiße findet. Letztendlich sind wir immer noch die beste Parodie einer Rockband."
Auf deiner Internetseite empfiehlst
du neben Musiker-Sites, absurden Links und diversen Kuriositäten auch
Hardcore-Stoff, was dir einige Leute angesichts eurer vielen jungen, teils
minderjährigen Fans übelnehmen.
Rod:„Die Voraussetzung für die ‘Rod Army’ ist nicht nur eine gehörige
Portion Toleranz, sondern auch Spaß. Also: Diese Sites sind nicht so ernst zu
nehmen. Außerdem kommst du auf diesen Seiten sowieso gleich zur Altersabfrage.
Es gibt auf meiner Seite richtig tolle Links, aber auch völlig sinnlosen
Quatsch. Ich liebe die F.B.I.-Pages oder den U.F.O.-Kram, den ich als alter Akte
X-Fan superspannend finde, aber eben auch Tittenseiten. Und es gibt gute
Tittenseiten, aber auch blöde. Das muss man anderen Leuten einfach
mitteilen.“
Muss man wirklich?
Rod:„Klar! Also bei ‘Horny Housewife’ geht es zum Beispiel um eine
nymphomanische Hausfrau, die ihre ganzen Ficks auf ihrer Seite dokumentiert.
Eine Seite, die ich wirklich jedem nur empfehlen kann, weil das eine verdammte
Menschenstudie ist. Mir reicht schon die Einführung, totaler Schrott. Aber ich
mag nun mal Trash. Hey, und ein bisschen Hardcore muss ja auch sein. Ich kann
nicht nur der nette Musikliebhaber sein, der darüber schreibt, wie man im
Internet Gitarrensaiten bestellt.
Spätestens wenn bei Aktionen wie
‘The Dome gegen Rechts’ die Dritte Generation, Band ohne Namen und
Container-Alex euren „Schrei nach Liebe“ covern, bekommt das Thema
"rechte Gewalt" einen peinlichen
Beigeschmack, oder?
Rod:„Ich sehe lieber diesen Alex ‘Schrei nach Liebe’ singen - ein guter Song
übrigens, der diese Thematik schon 1993 dargestellt hat - als dass dieser Typ
mit Jenny Elvers in der Öffentlichkeit nur warme Luft absondert. Okay, wir können
uns nicht dagegen wehren, im Endeffekt kann jeder covern, was er will. Hätten
wir uns in irgendeiner Form dagegen gestellt, hätten wir uns erklären müssen.
Viel zu kompliziert. Es ist schon eine Super-Ehre, dass die mit ihren paar
Gehirnzellen diesen Song covern, denn diese Leute haben immerhin eine öffentliche
Funktion. Und da finde ich es gut, dass so ein Typ wie Alex, der ja
intellektuell auf unterstem Niveau steht, den Leuten, die ihn mögen, vielleicht
darüber Zugang zum Problem verschafft und die sich dann damit auseinander
setzen.“
Dieser Song steht kostenlos zum
Herunterladen im Netz. Damit sind wir bei einer weiteren heiß diskutierten
Frage: Pro oder Contra MP3, Napster & Co.?
Rod:„Ich finde Napster, Guntella und wie die alle heißen, ziemlich gut. Das ist
etwas, was die Industrie komplett verschlafen hat. Da muss erst mal ein 16jähriger
Junge kommen, um eine weltweite Tauschbörse aufzurufen. Cool! Früher haben wir
das im kleinen Rahmen mit Kassetten gemacht. Und damals startete die ‘EMI’ -
glaube ich jedenfalls - die Kampagne ‘Home-taping is killing music’, oder
so. Da hab ich mir als Punk gedacht: Mann, wunderbar, dann immer her mit den
Kassetten! MP3 ist heute natürlich noch geiler.“
Das Musikerlager ist gespalten.
Kollegen wie Fred Durst oder Courtney Love vertreten den Standpunkt, nur wer
Scheißmusik mache, müsse Angst vor dem Internet haben.
Rod:„Richtig. Genau das ist Fakt. Bands, die laute, harte Musik machen, finden
doch im deutschen Radio nicht mehr statt. Welche Chance hast du also, solche
Acts noch zu hören? Das müssten diese Marketinggenies doch endlich mal
schnallen.“
Demnächst werdet ihr auch eine DVD
veröffentlichen. Was hat der Fan da zu erwarten?
Rod:„Mitte letzten Jahres entstand die Idee, da flatterten bei mir die ersten
Mails von Leuten rein, die sich gerade einen DVD-Player gekauft hatten und
fragten, ob sie sich das ‘Killer’-Video kaufen sollten oder ob es irgendwann
eine DVD davon geben würde. Bis dahin kannte ich die DVD nur als Medium der
Filmindustrie - diese ‘Alien’-Box zum Beispiel, oder die Sammler-Box von
‘Der Pate’. Und die Porno-DVDs. Es gibt ein paar wirklich gute, die den
‘different angle-mode’ ganz gut nutzen, wo du zwischen vier verschiedenen
Kameraperspektiven in Echtzeit wählen kannst. Also die Tittenkamera, die Mösenkamera,
die Mülleimerkamera und die Kamera oben an der Decke. Da war ich wirklich
begeistert - ich meine jetzt nicht von der Handlung, sondern von der Technik.
Also habe ich die Idee weitergesponnen, wie wir das nutzen könnten. Unsere DVD
bietet alle Möglichkeiten, die das Medium heute bietet.“
Wie lange gibt's die Ärzte noch?
Rod: "Diese Band hält so lange, wie wir Spaß haben. Sobald es für uns zur Arbeit wird, ist der Moment gekommen, an dem wir sagen: Okay, das war’s. Sonst wäre es heuchlerisch. Aber diesen Punkt haben wir noch nicht erreicht. Die zwei bis drei Stunden Konzert sind es immer noch wert, den ganzen Tag im Tourbus herumgehangen zu haben.“
Und was steht morgen in eurem
Terminkalender?
Rod:„Ach, bloß wo Farin Golf spielen wird und welchen Mercedes ich mir kaufen
werde. Du siehst, auch steinreiche Kommerz-Punks haben Sorgen.“