Millencolin - Interview

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interview I

 Erik Olson spricht:

Auf eurer „Skauch"-EP waren zwei Millencolin-Songs enthalten, daneben habt ihr damals Stücke von Operation Ivy, Sub Society, Descendents und Scumback gecovert. Könntest du dir vorstellen, erneut eine EP mit Coversongs zu veröffentlichen?
„Nein, wir werden so etwas wohl nicht noch einmal machen. Natürlich macht es schon Spaß, Stücke neu aufzunehmen, aber eigentlich muß man auch wirklich neue Songs daraus machen. Wenn man das Original einfach nur nachspielt, ist es nicht besonders interessant."

Aus Dolly Partons „9 To 5" habt ihr ja einen völlig neuen Song gemacht. Wie kamt ihr auf die Idee, ausgerechnet eine Country-Sängerin wie Dolly Parton zu covern?
„Ich glaube, daß es Mathias’ Idee war. Eigentlich war es nur ein kleiner Scherz. Damals brüllten wir uns immer mit ‘Punk from 9 to 5’ an, also wollten wir den Song mit diesem Refrain aufnehmen. Aber bei einer Coverversion darf man den Text nicht verändern, insofern mußten wir den Originaltext übernehmen. Aber auch so war es ganz lustig.

Ihr wart schon zweimal in Amerika auf Tour. Wie kamt ihr dort beim Publikum an?
„Es war großartig. Wir haben die Zusammenarbeit mit großen kommerziellen Radiosendern und MTV abgelehnt, insofern kannten uns beim ersten Mal noch nicht besonders viele Leute. Die Zuschauer waren immer sehr überrascht, daß wir aus Schweden kommen, schienen uns aber zu mögen. Beim zweiten Mal kamen auch gleich doppelt so viele Leute zu unseren Shows. Wir wollen uns dort in erster Linie im Untergrund einen Namen machen und dabei gar nicht mit Kommerzgiganten wie MTV zusammenarbeiten."

Kam während der Amerika-Tour auch der Kontakt mit Brett Gurewitz von ‘Epitaph’ zustande?
„Nein, nicht direkt. ‘Burning Heart’ schicken alle ihre Veröffentlichungen zu ‘Epitaph’ nach Amerika, und darüber wurde Gurewitz auf uns aufmerksam. Er mochte unsere Platten und wollte uns eigentlich signen. Letztendlich haben ‘Epitaph’ jetzt unsere Platten für den gesamten amerikanischen Kontinent lizensiert."

Wurden alle eure Platten dort veröffentlicht?
„Nein, bis jetzt ist dort nur ‘Life On A Plate’ im März ’96 erschienen. Ich glaube, bis jetzt hat sich das Album dort ungefähr 40.000mal verkauft, womit wir mehr als zufrieden sind."

Dann habt ihr in Amerika fast so viele Platten wie in Europa verkauft.
„Nein, nicht ganz. Allein in Schweden haben wir mittlerweile 37.000 Alben verkauft. Bei 40.000 verkauften Alben gibt’s hier eine goldene Schallplatte."

Mit „Life On A Plate" seid ihr damals auch direkt auf Platz 4 in die schwedischen Charts eingestiegen. Ist das in Schweden normal für eine Punkband?
„Nein, das ist wirklich ungewöhnlich. Auf den Plätzen vor uns waren damals Oasis und Simply Red, also wirklich große Namen, und dann kamen Millencolin, was schon ziemlich umwerfend war."

Im Sommer werdet ihr im Rahmen der ‘Warped’-Tour in den Staaten und Europa unterwegs sein. Weißt du, wer noch bei dieser Festivaltour dabei sein wird?
„Mit uns werden es insgesamt zehn Bands sein, darunter Social Distortion, Pennywise, Mighty Mighty Bosstones, Descendents, Dancehall Crashers und Blink 182. Das wird eine große Sache! In Europa werden insgesamt zehn Konzerte im späten August stattfinden."

Doch als nächstes steht die von VISIONS präsentierte ‘Flying High Across The Sky Skate Tour’ mit SNFU, den Voodoo Glow Skulls, Thumb, DFL und 3 Colours Red ins Haus. Dabei seid ihr die Headliner. Ist es mit Anfang 20 nicht ein seltsames Gefühl von deutlich älteren Bands wie SNFU oder den VGS supportet zu werden?
„Ja, das ist schon sehr seltsam. Als wir eine Support-Band für unsere Tour suchten, beschlossen wir, DFL mitzunehmen, weil sie ungefähr in unserem Alter sind. Wir hatten auch das Angebot, Joykiller mitzunehmen, aber deren Sänger war früher bei TSOL, einer wirklich alten Punklegende. Es wäre wirklich schwer merkwürdig gewesen, eine Ikone der Punkszene wie ihn bei uns im Vorprogramm zu haben. Insofern haben wir es dann auch abgelehnt, weil wir es nicht richtig gefunden hätten."

Euer erstes Album hieß ursprünglich „Tiny Tunes", letztendlich mußten aber auf Bestreben des ‘Time Warner’-Konzerns Titel und Artwork geändert werden. Was ist passiert?
„Als die ganze Geschichte über die Bühne ging, waren wir gerade in den Staaten, deshalb habe ich es auch nicht so detailliert mitbekommen. Ich weiß nur, daß ‘Burning Heart’ verklagt wurden. Das Seltsame daran ist, daß das Album zu dem Zeitpunkt schon zwei Jahre alt war und sich bereits 40.000mal verkauft hat. ‘Burning Heart’ mußten letztendlich eine Menge Geld zahlen - ich weiß auch nicht genau wieviel - und wir mußten das Artwork verändern und die Platte in ‘Same Old Tunes’ umbenennen."

In einem alten Interview im Ox-Fanzine...
„Oh ja, ich erinnere mich. Das war unser erstes nicht-schwedisches Interview und ich war ziemlich nervös damals, weil ich englisch sprechen mußte."

Jedenfalls war damals die Rede davon, daß ihr mit ‘Century Media’ in Verhandlungen getreten seid. Wolltet ihr dort einen Vertrag unterschreiben?
„Ja, wir hätten fast dort unterschrieben, aber mittlerweile bin ich wirklich glücklich, daß wir es damals nicht getan haben. Ich denke, daß wir uns damit keinen großen Gefallen getan hätten. ‘Epitaph’ ist wohl weltweit das beste Label, das man sich vorstellen kann. Sie sind sehr freundlich und sie machen ihre Arbeit, weil sie die Musik wirklich lieben. Es ist einfach toll."

Aber unter Vertrag seid ihr immer noch bei ‘Burning Heart’, oder nicht?
„Ja, die ‘Burning Heart’-Leute sind so etwas wie unsere besten Freunde. Wir wohnen in der gleichen Stadt und Peter ist ein wirklich guter Freund von uns. Es ist schon etwas seltsam, daß er unser Platten-Manager ist. Laß es mich so formulieren: ‘Burning Heart’ ist für uns das beste Label in Europa, aber weltweit ist ‘Epitaph’ sicher das beste Label."

Ein Majordeal käme für euch also nicht in Frage?
„Nein, auf keinen Fall. Wir haben schon einige Angebote abgelehnt. ‘Virgin’, ‘EMI’ und einige andere Companies fragten im vergangenen Jahr bei uns an, nachdem sich ‘Life On A Plate’ so gut verkaufte. Wir haben aber alle Angebote abgelehnt, weil diese Firmen sowieso nicht wissen, worum es bei dieser Musik geht."

Heutzutage ist ‘Burning Heart’ ein recht großes Label.
„Ja, das Label wächst ständig. In den ersten beiden Jahren hat Peter den ganzen Betrieb allein geführt. Nach einigen Umzügen arbeiten mittlerweile sechs Leute dort, aber es ist immer noch zu klein. In nächster Zeit werden sie wohl wieder in ein größeres Büro umziehen und noch drei oder vier Leute einstellen. Sie haben ja auch noch einen Mailorder."

Vor nicht allzu langer Zeit hörte man kaum etwas von schwedischen Punkbands. Mittlerweile gibt es die ganzen ‘Burning Heart’-Bands, das ‘Bad Taste’-Label und insgesamt scheint ein regelrechter Schwedenpunk-Boom ausgebrochen zu sein. Glaubst du, daß ‘Burning Heart’ den Startschuß dafür gegeben hat?
„Vielleicht. Es gab damals schon ‘Dolores’, ein Label, das sich ebenfalls auf amerikanisch klingende Punkbands konzentriert hat. Daneben gab es aber auch schon einige Labels, die auf schwedische Punkbands spezialisiert waren, etwa ‘Birdnest’, die schon recht groß waren."

Euren eigenen Stil nennt ihr Softcore?
„Ja, wir haben dieses Wort gewählt, weil es sehr schwer ist, seine Musik mit einem Label zu versehen. Wir mixen relativ viele verschiedene Stile und wollen nicht immer nur schnelle Punkrock-Songs spielen, die immer gleich klingen. Also versuchen wir, jedem Song eine eigene Identität zu verleihen und gute Melodien zu schreiben, die sich voneinander unterscheiden."

Softcore im Gegensatz zu Hardcore?
„Ja, das ist aber auch nur ein Scherz. Wenn jemand auf uns zukam und sagte ‘Oh, ihr spielt Hardcore’, antworteten wir ‘Nein, wir spielen Softcore’. Wir sind halt nicht diese Macho-Typen."

Hierzulande ist oft von Melodycore die Rede, und viele Fanzine-Schreiber scheinen heutzutage Probleme damit zu haben, weil diese Stilrichtung äußerst populär geworden ist und viele, vor allem jüngere Hörer, neu dazu gestoßen sind. Im Text von „Trendy Winds" greift ihr dieses Thema auf.
„Ja, dieser Song handelt von der Punk-Police. So nennen wir die Leute, die einem vorschreiben wollen, was man machen soll und was nicht. Letztendlich geht es doch immer nur um Trends. Und Leute, die sagen, daß das, was wir machen, zu durchschnittlich oder populär sei, starten eigentlich nur einen neuen Trend. Selbst wenn es jeder bestreitet - auch in der Punkszene geht es um Trends. Ich würde aber nicht sagen, daß wir eine Trend-Band sind, denn wir machen unser Ding auch bald seit fünf Jahren. Es wurde zwar ‘93/’94 mit Offspring und Green Day trendy, aber wir haben diese Musik schon vorher gemacht und ich sehe nicht ein, warum es auf einmal etwas Schlimmes sein soll, diese Musik gut zu finden. Wir spielen unsere Musik für die Leute, die sie mögen und werden sie nicht aufgrund irgendwelcher Trends verändern."

Im Rahmen der VISIONS-Festivaltour wart ihr im vergangenen Jahr mit Thumb, Ignite, Schweisser und Mink Stole unterwegs. Daraufhin erschien im Trust-Fanzine ein Interview mit Ignite, wo ihnen (und euch) mehr oder weniger direkt der Ausverkauf der Punkideale vorgeworfen wurde, weil ihr mit Nicht-Punkbands wie den Schweissern oder Thumb unterwegs wart. Wie steht ihr zu solchen Vorwürfen?
„Ich verstehe die ganze Aufregung nicht. Alle Bands spielen Underground Music. Thumb sind vielleicht ein wenig kommerzieller, aber letztendlich waren es verschiedene Bands, die verschiedene Musikarten spielten. Wir kennen so etwas auch aus Schweden. Es gibt immer Leute, die sich beschweren, wenn man mit irgendeiner Band zusammengespielt hat. Das macht mich wirklich krank."

Definiert ihr euch denn überhaupt als Punkband?
„Ich würde gern zu dem Punkt gelangen, an dem wir unsere Musik einfach nur noch Musik nennen können. Ich hasse es, Musik einen Stempel aufzudrücken. Wir sind nicht so sehr Punk wie The Exploited, nicht dermaßen politisch wie Propagandhi oder so hart wie Sick Of It All. Aber das heißt nicht, das wir nicht auch unsere Grundsätze hätten. Wir werden nicht zu einem Majorlabel gehen, wir machen nichts mit MTV und halten uns von kommerziellen Radiosendern fern. Wir versuchen so aufrichtig wie möglich zu sein, und das ist für uns Punk. Wir haben durchaus unsere eigenen Ideale."

Punk ist also doch eine Lebenseinstellung für euch?
„Ja natürlich, ich sehe mich selbst als Punk. Natürlich kann man uns nicht mit Propagandhi vergleichen, die ich wirklich respektiere. Sie sind sehr p.c. und bei den vielen Regeln, die sie sich selbst auferlegen, ist es sicher kein einfaches Leben."

In eurem Booklet grüßt ihr einige Band, darunter auch die Cardigans. Das hat mich doch ein wenig verwundert.
„Oh, sie sind wirklich großartige Leute, und als wir gemeinsam mit ihnen aufgetreten sind, waren sie bei weitem nicht so groß wie heute. Wir haben viel mit ihnen gefeiert und ihr Songwriter ist ein großer Fan der Misfits. Damals haben wir T-Shirts mit ihnen getauscht und sie haben unsere getragen, als sie in einer riesigen TV-Show in Amerika aufgetreten sind. Das ist doch nett!" 

In euren Texten geht es auffallend oft um das Thema Langeweile. „Ich denke, daß es viel mit dem Erwachsenwerden zu tun hat. Wenn man zwischen 18 und 25 ist, verändert sich das Leben stark und es ist wohl normal, daß man sich ein wenig davor fürchtet: Zwischenmenschliche Beziehungen, Herzschmerz und so..."

Im Presse-Info ist von einem „more depressive flavor" der neuen Songs die Rede.
„Na ja, Nico hatte im vergangenen Jahr eine schwere Zeit. Er hatte einige Probleme mit seiner Freundin, denn wir waren fast das ganze Jahr unterwegs. Es ist schon seltsam, wenn man ständig auf Tour ist, die Jungs in der Band werden automatisch zur Familie. Und natürlich vermißt man auf Tour auch einiges aus dem normalen Leben, die Leute, mit denen man eigentlich zusammen war oder die Bandszene, aus der man ursprünglich stammt. Mittlerweile gibt es in Örebro keine Szene mehr, und viele Leute denken, daß wir unheimlich groß geworden wären. Es kursieren viele Gerüchte und einige Leute sind eifersüchtig und verbreiten irgendwelchen Scheiß über uns. Das kann einem schon zu schaffen machen."

Ist „For Monkeys" also eine Art ‘Verarbeitungsalbum’?
„Ich weiß nicht recht. Wir waren schon zu der Zeit recht groß als ‘Life On A Plate’ veröffentlicht wurde und tourten damals sehr viel. Es kamen wirklich viele Leute zu unseren Shows und irgendwie wurden unsere Hörer immer jünger. Wir bekamen tausende Briefe von 15jährigen Mädchen, die Autogramme haben wollten. All diese Mädchen kamen zu unseren Gigs und benahmen sich, als ob sie auf einem Take That-Konzert wären. Das ist für eine Punkband natürlich nicht besonders gut und ich denke, daß wir dadurch auch einen seltsamen Ruf bekommen haben. Zu Glück hat es sich hier in Schweden jetzt ein wenig beruhigt und damit sind wir auch alle sehr zufrieden. Ich hoffe, daß wir mit unserem neuen Album ein neues Level erreichen werden."

An welches Level denkst du dabei?
„Na, den einer etablierten Band. Mittlerweile kennen uns viele Leute und es ist eben nicht mehr dieses Trend-Ding."

Im Booklet des neuen Albums ist ein Foto, auf dem ihr alle Brillen tragt. Auf früheren Fotos habt ihr immer ziemlich dämlich gegrinst. Insofern sollte ja schon klar sein, daß ihr nicht als Boygroup euer Geld verdienen wollt.
„Ja, früher haben wir immer gegrinst, weil wir auch lustige Musik spielten, aber das wurde dann doch zu viel. Wir wollten nicht das Image einer Clown-Band, die nichts ernst nimmt, verpaßt bekommen. Aus diesem Stadium sind wir mittlerweile herausgewachsen, insofern paßt das Foto im Booklet der neuen Platte auch besser. Wir grinsen zwar nicht blöde, sehen aber trotzdem ziemlich dämlich aus, damit wir eben nicht in den Ruf einer Boyband kommen."

Bei „Lozin’ Must" singt euer Sänger anfangs überraschend rauh.
„Wir haben in den letzten Jahren sehr viele Konzerte gegeben, insofern ist es ein natürlicher Vorgang, daß die Stimme des Sängers rauher wird. Ich persönlich finde es sowieso besser, wenn der Sänger ein wenig aggressiver klingt und nicht wie ein Bübchen aus dem Knabenchor."

Im Artwork eurer Platten taucht oft dieses tote Küken auf. Was hat es denn damit auf sich?
„Es ist mit der Zeit zu einer Art Maskottchen geworden. Ich habe das Küken auf das Cover unseres ersten Demotapes gemalt und seitdem hat es uns verfolgt. Der tote Vogel verkörpert auch ganz gut die Aussage unseres Namens: Melancholie. Allerdings sind wir erst auf die Idee gekommen, nachdem ich den Vogel schon gemalt hatte."´

Als dich Joachim Hiller im Rahmen des Ox-Interviews fragte, ob du dir vorstellen könntest, in zehn Jahren noch bei Millencolin zu spielen, verneintest du und sagtest, daß du dir eher vorstellen könnest zu studieren. Gilt das immer noch?
„Ich weiß nicht wirklich. Nico denkt oft darüber nach, zurück zur Schule gehen, insofern werden wir vielleicht im nächsten Jahr eine längere Auszeit nehmen. Aber im Moment weiß ich es alles noch nicht so genau. Vielleicht sind wir in zehn Jahren noch zusammen. Ich hoffe es, denn ich liebe es, Musik zu machen."

Falk Albrecht für www.visions.de